Muss ich die neuen Kollegen duzen?

Meine Kolumne in der Süddeutschen Zeitung vom 23. März 2014

Angelika E. ist Ärztin und fängt demnächst in einem medizinischen Versorgungszentrum an. Dort duzen sich die Mitarbeiter untereinander. Ihr ist das unangenehm – kann sie auf das „Sie“ bestehen?

SZ-Leserin Angelika E. fragt:

Ich war mehr als 20 Jahre als Fachärztin niedergelassen und habe jetzt meine Praxis an ein medizinisches Versorgungszentrum verkauft. Dort werde ich demnächst als angestellte Fachärztin weiterarbeiten. Nun habe ich mitbekommen, dass sich die neuen Kollegen allesamt untereinander duzen.

Ich möchte jedoch nicht mit meinem Vornamen angesprochen werden und finde es viel einfacher, sich bei der Arbeit zu siezen. Andererseits möchte ich mich auch gern in das junge Team integrieren und nicht abweisend wirken. Wie könnte ich argumentieren, ohne schroff zu sein?

Meine Antwort:

Liebe Frau E.,
was für die einen geradezu unvorstellbar ist, erscheint den anderen vollkommen normal – und umgekehrt.
Während es vor hundert Jahren selbst in der Familie nicht überall üblich war, die eigenen Eltern zu duzen, wird sich inzwischen im Zuge der gesellschaftlichen Egalisierung geduzt, was das Zeug hält.

So wäre ich früher niemals auf die Idee gekommen, die Eltern meiner Schulkameraden bei der Begrüßung mit Vornamen anzureden, und noch heute kommt mir das nicht über die Lippen. Selber kann ich mich inzwischen glücklich schätzen, wenn ich von den Mitschülern meiner Kinder überhaupt wahrgenommen werde, wenn sie bei uns zu Besuch sind. Dass ich mit ihnen automatisch per Du bin, scheint sich von selbst zu verstehen.

Interessanterweise wurde das Siezen erst im 19. Jahrhundert allgemein üblich, wahrscheinlich um eine gleichermaßen wertschätzende Form der Anrede für alle Bürger zu etablieren. So drückt das „Sie“ für die meisten Menschen eine respektvolle Distanz aus, während das „Du“ freundschaftliche Nähe und eine gewisse Form der Gleichheit signalisiert.

Dies dürfte auch der Grund sein, warum sich die Kollegen an Ihrem künftigen Arbeitsplatz untereinander duzen. Es soll eine Atmosphäre der freundschaftlichen Nähe geschaffen werden, in der es durch das Du eine kommunikativ gelebte Form der Zusammengehörigkeit gibt. Nun müssen Sie sich entscheiden, ob Sie diesen Weg mitgehen möchten oder lieber nicht.

Wenn Sie sich klar und eindeutig gegen das Duzen aussprechen und ein entsprechendes Angebot der neuen Kollegen ausschlagen, gilt es, dies mit viel Fingerspitzengefühl und einen Höchstmaß an Wertschätzung zu tun.

Wenn Sie dafür sorgen, dass Ihr Gegenüber sein Gesicht nicht verliert und Sie allen eine kleine Hintertür offenhalten, könnte die Ablehnung ohne Missstimmungen vonstattengehen. „Vielen Dank für das nette Angebot. Ich weiß Ihr Vertrauen wirklich zu schätzen. Ich brauche dafür nur ein bisschen länger und würde mich wohler fühlen, wenn wir vorerst noch beim Sie bleiben könnten. Wäre das in Ordnung für Sie?“

Diese Aneinanderreihung von rhetorischen Weichmachern, Konjunktiven, positiven Formulierungen und der abschließenden Frage, die eigentlich nur mit einem Ja beantwortet werden kann, wäre eine Möglichkeit, dem Duz-Angebot auf wertschätzende und ehrliche Art zu begegnen.

Vielleicht ergreifen Sie auch selber die Initiative und sprechen das Thema gleich in der ersten Runde an („Ich werde nicht gerne mit meinem Vornamen angesprochen und finde es persönlich angenehmer, sich bei der Arbeit zu siezen“). Das mag für die jüngeren Kollegen eventuell ein wenig altbacken klingen, doch werden die meisten Ihren Wunsch respektieren. Zwischenmenschliche Nähe wird sich nach einem besseren Kennenlernen früher oder später ohnehin einstellen.


 

Den Artikel können Sie im Original kostenlos auf sueddeutsche.de nachlesen.

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